Am 7. Mai nahmen KommunistInnen aus Holland und Deutschland an der Gedenkfeier in Esterwegen zur Befreiung vom Faschismus teil. Unsere Holländischen GenossInnen haben uns nun die deutsche Übersetung ihre Rede zur Verfügung gestellt, die wir hiermit veröffentlichen.
Für die Neue Kommunistische Partei der Niederlande hielt das Sekretariatsmitglied des Bezirks Groningen der NCPN, Matthijs Dröge, folgene Rede:
Sehr geehrte Anwesende,
im Nahmen der Groninger Parteigruppe der Neuen Kommunistischen Partei der Niederlande fühle ich mich außerordentlich geehrt, heute in ihrer Gesellschaft den Sieg über den Faschismus zu feiern und der Gefallenen und Verfolgten im internationalen Kampf zu gedenken. Gedächtnisfeiern wie diese sind von größter Wichtigkeit um die Bevölkerung unserer Länder ihrer Geschichte bewusst zu machen, um an die Rolle, die ihre Vorfahren in der Befreiung gespielt haben, zu erinnern.
Dass wir hier stehen, ist kein Zufall. Es ist nicht etwas das Menschen spontan so mal machen, oder etwas das wir einmal pro Jahr aus Frömmigkeit tun. Die Entscheidung um zu gedenken ist zuallererst eine politische Handlung, eine bewusste Entscheidung die Erinnerung fortleben zu lassen. Und die Geschichte zeigt, dass das nicht von selbst geht.
Dass wir hier gedenken können, ist nach dem Krieg hart erkämpft worden. Für die Herrschenden war die Erinnerung an das, was unter dem Faschismus geschah, vor allem eine leidige Sache. Wir danken es dem Kampf der Moorsoldaten, Arbeiter, ehemaligen Gefangenen, Jugendlichen, Schüler, Studenten und Intellektuellen in der Nachkriegszeit, dass das strukturelle Verwahrlosen sowohl der Erinnerung als auch des harten materiellen Beweises dessen, was in den Emslandlagern geschehen ist, vorbei ist. Dank ihrem Einsatz können jedes Jahr wieder neue Generationen die Geschichte der Lager zur Kenntnis nehmen.
Dies zeigt, dass das Gedenken derjenigen, die fielen im Kampf gegen den Faschismus, keine Selbstverständlichkeit ist. In den Niederlanden ist das nicht anders. Der Volkstrauertag in den Niederlanden wird schon seit Jahrzehnten benutzt um aller Kriegstoten zu gedenken, auch derjenigen die eingesetzt wurden um den Befreiungskampf des indonesischen Volks zu unterdrücken. In den letzten Jahren gab es sogar Versuche um auch den niederländischen Kollaborateure und den deutschen Wehrmachtsoldaten zu gedenken – was glücklicherweise durch den Protest von antifaschistischen Organisationen verhindert werden konnte.
Es handelt sich hier um Versuche den Inhalt des Gedenkens zu verwässern und die historischen Geschehnisse unter dem Mantel der Liebe zu verdecken. Gedenken wird so zu einer jährlichen Verpflichtung. Die Geschehnisse des Krieges werden zu einer simplen Geschichte: keine Täter, keine Opfer, keine Befreier, kein Inhalt. Nur noch eine allgemein gehaltene Abscheu gegen Krieg, ohne sich zu besinnen auf was geschehen muss, um neue Kriege zu verhindern.
Wenn wir das vergleichen mit unserem Gedenken hier, so wie wir hier stehen, könnte der Kontrast fast nicht größer sein. Hier ist die Verbrüderung zwischen Niederländern und Deutschen eine natürliche Sache, wo keine leeren Phrasen für gebraucht werden. Vielleicht weil viele Menschen in dieser Region einander auch über die Grenze hinweg verstehen können. Aber auch weil wir hier aus einem und ein und dem selben Grund (we staan hier vanwege een reden en dat is voor allen de zelfde reden) stehen, weil wir wissen wessen wir gedenken.
Die Lager in dieser Region gehörten zu den ersten Konzentrationslagern, die durch die Nazis errichtet wurden. Sie hatten ein doppeltes Ziel: das Abbauen der Torfböden in den Mooren und das unschädlich machen von politischen Gefangenen: kommunistische Arbeiter, Gewerkschafter, Sozialisten, Christen und demokratische Intellektuelle wie Carl von Ossietzky. Hier konnten die Nazis an den tausenden Gefangenen die Terrormethoden testen, die sie später auf Millionen Menschen in ganz Europa loslassen würden.
Die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern wurden damals schon öffentlich gemacht, unter anderem in dem Buch „Die Moorsoldaten“. Ein gleichnamiges Lied ist zuerst in de Lagern zu hören, aber wurde später auch in Spanien gesungen durch die Kämpfer der Internationalen Brigaden. Das Lied wurde im Lauf der Jahre in vielerlei Sprachen übersetzt. Im Buch „Rote Hilfe“, ausgegeben unter der Redaktion von Ruud Weijdeveld, der hier letztes Jahr gesprochen hat, steht eine niederländische Übersetzung, die 1977 in Groningen geschrieben wurde durch die kommunistisch liierte Jugendorganisation ANJV (Allgemeiner Niederländischer Jugendverband). Das sagt viel über die Wichtigkeit davon die Erinnerung an die Lager lebendig zu halten.
Zu Zeiten der Emslandlager selbst kam die grenzenlose internationale Solidarität unter anderem zum Ausdruck in der Hilfe die durch groninger Kommunisten und Antifaschisten geboten wurde indem sie entkommenen Gefangenen und anderen politischen Flüchtlingen ein Unterkommen gaben. Eine Angelegenheit die nicht ohne war wegen des Widerstands der niederländischen Regierung. Unter schweren Bedingungen konnten sie einer Vielzahl deutscher Flüchtlinge ein Unterkommen bieten, mit der ausschlaggebenden Hilfe aus der Internationalen Roten Hilfe.
Es ist die Geschichte des Widerstands in den Niederlanden noch vor dem Krieg, durch Menschen die schon früh nach der Machtübernahme des Faschismus die internationale Solidarität praktisch werden ließen. Es reiht sich ein in die beste Traditionen des niederländischen Widerstands während des Kriegs, wie zum Beispiel der Februarstreik 1941. Unter anderem durch diese Geschichte wurde die Stadt Amsterdam nach dem Krieg geehrt mit dem Text „Heldenhaft, Entschlossen, Barmherzig“ in ihrem Stadtwappen. Eine Beschreibung die allerdings genauso gut auf die groninger Kommunisten und Antifaschisten zutrifft.
Es waren oft einfache Landarbeiter aus der Grenzregion und Arbeiter aus der Stadt Groningen, die in der Krisenzeit selbst schon wenig hatten, aber die trotzdem ihren Schicksalsgenossen an der anderen Seite der Grenze halfen. Es waren Menschen aus den Bevölkerungsgruppen, die noch heute mit Argwohn betrachtet werden und lächerlich gemacht werden durch die Höhergestellten, aber die in dieser Zeit tatsächlich heldenhaft, entschlossen und barmherzig waren. Und die auch den politischen Willen und die Schlagkraft hatten um mit diesen Werten etwas zu tun. Unter der Besatzung haben viele von ihnen dafür den höchsten Preis gezahlt.
Wir sind hier dann auch zum Gedenken der ersten Gefallenen im Kampf gegen den Hitler-Faschismus an der Macht, zum Gedenken der Moorsoldaten und derjenigen die ihnen geholfen haben. Ihr Kampf ist der unsere. Vielen Dank.